Ein langer Kampf gegen die weibliche Beschneidung
Seit 2015 unterstützt UNICEF-Luxemburg in Zusammenarbeit mit der Fondation Espoir ein Projekt gegen die weibliche Beschneidung von Frauen und Mädchen in Äthiopien. Im Juni konnten wir uns in der Afar-Region im Nordosten Äthiopiens selbst ein Bild über die Fortschritte unseres Projektes machen.
Afar ist eine der ärmsten Regionen Äthiopiens und liegt in einem tief gelegenen, vulkanisch aktiven Gebiet mit sehr hohen Temperaturen und nur geringen Niederschlägen. Der Großteil der Bevölkerung besteht aus nomadischen Viehzüchtern. 2016 musste die Regierung im Afar-Gebiet den Notstand ausrufen, da die gesamte Region von der durch das Klimaphänomen El Niño verursachten Dürre getroffen wurde. Über 10 Millionen Menschen waren dort letztes Jahr auf humanitäre Nahrungshilfe angewiesen. Mittlerweile hat sich die Lage wieder stabilisiert und die Bevölkerung erholt sich von der schwersten Naturkatastrophe seit 50 Jahren.
Nachdem wir früh morgens am Flughafen von Semara gelandet waren, fuhren wir nach Erubti, wo wir bereits von einer riesigen Menschenmenge mit Gesang, Tanz und sehr viel Herzlichkeit empfangen wurden. Frauen- und Mädchengruppen, Lehrerinnen, Sozialarbeiter, religiöse Führer sowie sämtliche Mitglieder der Gemeindeverwaltung hatten sich im Dorfzentrum versammelt, um sich mit uns über ihre Präventionsarbeit gegen Mädchenbeschneidung auszutauschen. Wir waren tief beeindruckt darüber, wie offen die Dorfbewohner über ihren meist ehrenamtlichen Einsatz gegen die weibliche Genitalverstümmelung sprachen.
In einer großen „Frauenrunde“ erfuhren wir die teils unvorstellbaren Schicksale der beschnittenen Frauen und wurden gleichzeitig angesteckt von der bewundernswerten Begeisterung, mit welcher sich die Mädchen und Frauen für die Abschaffung dieser grausamen Tradition einsetzen.
Asrat, eine ausgebildete Lehrerin, die sich jetzt als Sozialarbeiterin gegen die Beschneidung von Mädchen einsetzt, stellte uns die Mädchengruppe vor, die, wie auch sie selbst, mit Hilfe von UNICEF eine Fortbildung über die Gefahren der weiblichen Beschneidung erhalten hat.
Asrat, die sich bereits seit 15 Jahren gegen die Beschneidung einsetzt, erzählte uns:
Es gab sehr lange kaum Fortschritte in unserem Kampf, aber jetzt endlich können wir die ersten positiven Entwicklungen erkennen. Deshalb ist auch der heutige Tag wie ein Geburtstag für die Mädchen, da Euer Besuch ihnen zeigt, dass sie nicht allein sind und von Euch unterstützt werden.
An den darauffolgenden Tagen trafen wir viele Frauen, die uns ihre Geschichten erzählten. Jede einzelne Beschneidung steht für einen langen Leidensweg.
Eines der Schicksale, das uns am meisten berührt hatte, war jenes von Fatima, die bei der Geburt ihrer ersten Tochter fast gestorben wäre und sich heute als Aktivistin gegen die Genitalverstümmlung einsetzt:
Ich war fünfzehn, als ich mit meinem Mann verheiratet wurde. Genau wie fast alle Mädchen hier war auch ich bereits als Baby beschnitten und zugenäht worden, so dass mir lediglich eine kleine Öffnung zum Abfluss von Urin und Menstruationsblut blieb. In der Hochzeitsnacht versuchte mein Mann vergeblich, in mich einzudringen. Auch in den darauffolgenden Wochen versuchte er es immer wieder, bis er schließlich gewaltsam in mich eindrang und dabei meine Vagina aufriss. Danach musste ich zwei Monate lang im Bett bleiben, da sich durch die Wunde eine schlimme Infektion entwickelt hatte.
Trotz dieser erheblichen Probleme wurde ich bereits innerhalb des ersten Jahres unserer Ehe schwanger. Als bei mir die Wehen einsetzten, blieb das Baby stecken. Allerdings wollten zu diesem Zeitpunkt weder mein Mann, noch meine Familie mich ins Krankenhaus bringen, da es dort nur männliche Ärzte gab. Zu meinem Glück kam gerade eine lokale Gesundheitshelferin in unser Dorf, die meine Familie überzeugen konnte, dass ohne sofortige Hilfe sowohl mein ungeborenes Kind als auch ich selbst mit großer Wahrscheinlichkeit sterben würden. Endlich brachte man mich ins Krankenhaus, wo ich unter Aufsicht eines Gynäkologen und einer Hebamme ein kleines Mädchen zur Welt brachte.
Heute bin ich Mitglied einer ehrenamtlichen Mädchengruppe, die sich für die Abschaffung der weiblichen Genitalverstümmelung einsetzt. Nachdem wir alle eine Fortbildung von UNICEF über die Gefahren und gesundheitlichen Folgen der Mädchenbeschneidung erhalten hatten, besuchen wir nun die Familien in unseren Dörfern und versuchen sie zu überzeugen, ihre neugeborenen Mädchen nicht mehr diesem grausamen Ritual zu unterziehen. Durch diese Aufklärungsarbeit konnte ich alleine bereits fünf Mädchen davor bewahren, beschnitten zu werden.
Nachdem ich am eigenen Leib erfahren hatte, wie schmerzhaft und gefährlich eine Beschneidung sein kann, und dass man als Frau ein Leben lang unter deren Folgen leiden kann, bedeutet dies für mich auch die größte Motivation, um mich für die Abschaffung dieser schrecklichen Tradition einzusetzen.
Was ist weibliche Genitalverstümmelung?
Der Prozentsatz der beschnittenen Frauen in der Nomadenbevölkerung liegt bei 98%, was die weibliche Beschneidung zu einer fest verankerten sozialen Norm in der Gemeinschaft macht. Den neugeborenen Mädchen werden meist bereits in der ersten Lebenswoche die äußeren Geschlechtsteile weggeschnitten und danach die Scheide, bis auf eine kleine Öffnung für den Abfluss von Urin und Menstruationsblut, komplett zugenäht. Die Frauen leiden oft an chronischen Blasen- und Vaginalentzündungen, haben schreckl iche Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und erleiden oft schlimme Komplikationen bei der Geburt ihrer Kinder.
Das UNICEF-Projekt unterstützt sowohl Präventionsarbeit, um weitere Beschneidungen zu verhindern, als auch die medizinische Betreuung von bereits beschnittenen Frauen und Mädchen, die an den Folgen ihrer Genitalverstümmlung leiden.
Bei unseren Gesprächen mit den Frauen und Mädchen durften wir auch die typischen farbenprächtigen Gewänder tragen, die nur zu besonderen Anlässen benutzt werden.